Nicht nur in der Corona-Pandemie wurden viele Unternehmer und Arbeitnehmer zahlungsunfähig. Während ein Zahlungsstau häufig noch zu bewältigen ist, führen dauerhaft unbezahlte Rechnungen zu Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Ein Zustand, der Unternehmer zum Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verpflichtet, sobald die Krise absehbar ist. 

Was man unter Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung versteht und worauf Privatpersonen, juristische Personen und Unternehmen achten müssen, erfahren Sie im nachfolgenden Beitrag.

Was bedeutet Zahlungs­unfähigkeit?

§ 17 der Insolvenzordnung gibt vor, wann man zahlungsunfähig ist. Demnach ist die Zahlungsunfähigkeit gegeben, wenn es einem Schuldner nicht mehr möglich ist, fällige Zahlungspflichten zu erfüllen. Dazu werden die vorhandenen Mittel und Verbindlichkeiten gegenübergestellt.

Der Bundesgerichtshof wird in seiner Auslegung konkreter (BGH, 19.12.2017 – II ZR 88/1): Demnach ist die Zahlungsunfähigkeit dann gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, innerhalb von drei Wochen 90 % seiner fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen.

Wann spricht man von Überschuldung?

Um den Unterschied zwischen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit zu erkennen, hilft diese Definition: 

Eine Überschuldung liegt vor, wenn das komplette Vermögen des verschuldeten Unternehmens oder einer verschuldeten Privatperson die Gesamtverbindlichkeiten nicht mehr deckt und die Fortführung des Unternehmens unwahrscheinlich ist.

Zahlungsunfähig oder überschuldet − was tun?

Schon bei den ersten Anzeichen einer dauerhaften Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sollten Sie sich Unterstützung suchen.

Privatpersonen

Als Privatperson sind Sie nicht verpflichtet, Privatinsolvenz anzumelden, wenn Sie ihre Schulden nicht mehr tilgen können. Sie sollten sich dennoch so schnell wie möglich Rat bei einem Schuldnerberater suchen. Der Experte stellt mit Ihnen einen Schuldenregulierungsplan auf, um Ihre Verbindlichkeiten systematisch abzutragen.

Dabei kann ein Schuldnerberater bei drohender bzw. bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit zur Privatinsolvenz raten. Dadurch haben Sie die Möglichkeit, nach Abtretung des pfändbaren Teils Ihres Einkommens eine Restschuldbefreiung zu erwirken. Diese ermöglicht erst hoch verschuldeten Personen in naher Zukunft ein schuldenfreies Leben.

Wichtig:

Die Überschuldung ist bei privaten Schuldnern nach § 16 InsO kein Grund zur Privatinsolvenz.

Juristische Personen

Juristische Personen, z. B. Kapitalgesellschaften wie eine GmbH und gleichgestellte Rechtsträger, sind verpflichtet Insolvenz anzumelden. Dies müssen sie bereits dann tun, wenn absehbar ist, dass sie zahlungsunfähig werden. Zudem kennt die Insolvenzordnung in § 19 InsO bei juristischen Personen die Überschuldung als besonderen Insolvenzeröffnungsgrund. (🔎 Hier: Wie läuft eine Firmeninsolvenz ab?)

Verzögert ein Unternehmer die Insolvenzanmeldung, begeht er Insolvenzverschleppung und macht sich strafbar. Denn die Haftung ist bei juristischen Personen auf das Gesellschaftsvermögen begrenzt. Je später die Insolvenzanmeldung erfolgt, desto geringer die Aussichten, dass der Schuldner seine Verbindlichkeiten decken kann. Im Gegenzug steigt das Risiko der Gläubiger, ihre Forderung abschreiben zu müssen.

Feststellung der Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens

Gerade in einer Krise wie der Corona-Pandemie haben Unternehmen mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen. Trotz der detaillierten Definition durch den Bundesgerichtshof ist die Zahlungsunfähigkeit bei juristischen Personen daher nicht immer einfach zu erkennen.

Um das Ausmaß bei Unternehmen wie beispielsweise einer GmbH abschätzen zu können, sollte man schrittweise vorgehen:

1. Drohende Zahlungsunfähigkeit

Bereits bevor sich ein Liquiditätsengpass zeigt, kündigen sich Hinweise dafür an:

  • Umsatzverluste im laufenden Geschäftsjahr

  • uneinbringliche und ausstehende Forderungen

  • ausgeschöpfte Kreditlinien

  • notwendige Preisanpassungen oder Warenrückrufe

  • unbezahlte Sozialversicherungsträger

  • eingeleitete Vollstreckungen durch das Finanzamt

  • nicht eingelöste Lastschriften

  • ausgeschöpfte Eigenkapitalreserven

  • häufige Mahnungen, Mahnbescheide, Vollstreckungen

2. Liquiditätsbilanz

Um sich einen Überblick zu verschaffen, sollte im nächsten Schritt der Deckungsgrad fälliger Verbindlichkeiten ermittelt werden. Dazu benötigen Sie eine Liquiditätsbilanz. Diese hat das Ziel, an einem Stichtag liquide Mittel den Schulden des Unternehmens gegenüberzustellen.

Haben die Vertragspartner keine Fälligkeit vereinbart, gilt die Verbindlichkeit nach § 271 BGB als sofort fällig. Wurden Zahlungen gestundet, sind sie nach Ablauf der Stundungsvereinbarung fällig. Gibt es Zweifel hinsichtlich der Fälligkeit, sollten Sie sich juristischen Rat einholen.

Tipp:

Als liquide Mittel gelten neben den Barmitteln in Kasse und auf Bankkonten auch sicher zu erwartende Forderungen sowie bestehende Kreditlinien. Hier können gemäß BGH nur solche Forderungen berücksichtigt werden, die tatsächlich kurzfristig vom Schuldner eingefordert werden können.

3. Dynamischer Finanzplan

Ist das Ergebnis der Liquiditätsbilanz negativ, decken also die liquiden Mittel die fälligen Verbindlichkeiten nicht, empfiehlt es sich, einen dynamischen Finanzplan aufzustellen. Damit stellt man fest, ob tatsächlich eine Zahlungsunfähigkeit oder nur ein vorübergehender Zahlungsstau vorliegt. In einem dynamischen Finanzplan gehören nach aktueller Rechtsprechung (BGH, 19.12.2017 – II ZR 88/16) neben den künftig verfügbaren Forderungen auch alle Verbindlichkeiten.

Ergibt der Finanzplan, dass die Zahlungsschwierigkeiten innerhalb von drei Wochen behoben werden können, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor. Ist es in diesem Zeitrahmen nicht möglich, sollten Sie im nächsten Schritt die Liquiditätslücke bemessen:

  • Keine Zahlungsunfähigkeit nach Insolvenzordnung liegt vor, wenn die Liquiditätslücke geringer als 10 % der Gesamtschulden ist und demnächst geschlossen werden kann.

  • Ist die Liquiditätslücke größer als 10 % oder kann sie nicht in naher Zukunft ausgeglichen werden, liegt eine Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO vor.

Info:

Meldet ein Unternehmen Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit an, bleiben die Arbeitsverhältnisse nach § 108 InsO b. a. w. bestehen. Ausstehende Lohnzahlungen, Boni oder Provisionen sollten die Arbeitnehmer dem Insolvenzverwalter melden.

Feststellung der Überschuldung eines Unternehmens

Die Überschuldungsprüfung nach Insolvenzrecht setzt sich aus diesen Schritten zusammen:

1. Ermittlung des Überschuldungsstatus

Hierbei werden die Aktiva den Passiva des Schuldners stichtagsbezogen gegenübergestellt.

2. Prognose über das Fortbestehen des Unternehmens

Eine Überschuldung liegt nur vor, wenn bei positivem Überschuldungsstatus die Fortführung des Unternehmens unwahrscheinlich ist. Dazu erstellt der Unternehmer eine Fortbestehensprognose mithilfe einer Kostendeckungsrechnung für die Zukunft.

Ist unwahrscheinlich, dass ein realisierbares Unternehmenskonzept und eine positive Liquiditätsprognose die Zahlungsfähigkeit im laufenden und kommenden Wirtschaftsjahr gewährleisten, liegt der Insolvenzgrund der Überschuldung vor.

Tipp: In welcher Reihenfolge der Unternehmer die Überschuldung prüft, legt der Gesetzgeber nicht fest. Maßgeblich ist, dass die Überschuldung durch Überschuldungsstatus oder/und Prognose des Fortbestehens festgestellt wird. Danach hat das geschäftsführende Organ eines Unternehmens unverzüglich (spätestens nach 3 Wochen) Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.

Vorsicht Steuer! Steuerpflicht trotz Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung

Vor allem Geschäftsführer von Unternehmen sollten trotz Zahlungsschwierigkeiten Ihre Steuerpflicht nicht vergessen. Denn sie sind zur rechtzeitigen und vollständigen Abgabe der Steuererklärungen verpflichtet. Dazu gehört auch die fristgerechte Zahlung an den Fiskus.

Wichtig:

Geschäftsführer einer GmbH haften beispielsweise nicht erst bei fehlender Besteuerung, sondern bereits bei nur teilweiser oder nicht fristgerechter Überweisung der Steuern. Diese Verpflichtung gilt auch innerhalb der 3-wöchigen-Frist nach Insolvenzordnung.

Der Gesetzgeber beschränkt die Haftung auf den Fall, dass tatsächlich ausreichende Mittel vorhanden sind und diese von der Geschäftsführung nicht in gleicher Höhe für Steuerschulden wie für sonstige Schulden genutzt werden. Damit verletzt die Geschäftsführung die ihr nach § 34 AO auferlegten steuerlichen Pflichten. Wurden alle Gläubiger einschließlich dem Fiskus gleichermaßen anteilig bedient, gilt die Haftung nach § 69 AO nur für die Steuerverbindlichkeiten, die noch nicht entrichtet wurden.

Keine Regel ohne Ausnahme: Die gleichmäßige anteilige Tilgung aller Gläubigerforderungen gilt nicht für Lohnsteuerschulden. Es ist vielmehr so, dass die Geschäftsführung den Fokus auf die Entlohnung ihrer Mitarbeiter inklusive Abgabe der Lohnsteuer an das Finanzamt legen muss. Fehlen dem Unternehmen die Mittel, um Löhne und Gehälter plus Steuern zu überweisen, müssen die Löhne gekürzt werden. Im Ergebnis haftet das Unternehmen für die korrekte Versteuerung.

Fazit: Anzeichen für Zahlungsunfähigkeit und steuerliche Haftungsrisiken rechtzeitig beachten

Jeder Zahlungspflichtige sollte auf Anzeichen achten, die auf Zahlungsunfähigkeit oder gar Überschuldung hinweisen. Wer seinen Verpflichtungen aus eigener Kraft nicht mehr nachkommen kann, sollte sich unbedingt Unterstützung suchen.

Organe von Unternehmen müssen nicht nur ihre Aufgaben gegenüber Belegschaft und Gläubiger erfüllen, sondern auch ihren steuerlichen Pflichten gegenüber dem Fiskus gerecht werden. Um Haftungsrisiken zu vermeiden, müssen die Besonderheiten der Steuerarten bekannt sein und erfüllt werden. Rechtzeitige Vorsorge und Dokumentation sollte daher für jeden Geschäftsführer auf der Tagesordnung stehen.

 

 

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